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Konzept & Dank & Impressum

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Screen Check


Mathias Hartmann
vanish, 2017
Siebdruck, Ölfarbe auf Acrylglas, 48 x 468 cm

Video von Ivan Syrov, Musik und Motiv von Mathias Hartmann

 (…) Mathias' Arbeit hat ihr Medium in dem langen Leuchtkasten gefunden, der über dem SEEN THROUGH Fenster von den Vormietern angebracht wurde. Beim Einzug vor sechs Jahren hatten wir die Klebefolie mühsam abgekratzt. Seitdem war der Leuchtkasten in seinem Plexiglasweiß nicht mehr in Verwendung. (…)

 (…) Im Ensemble mit den Elementen der Steinfassade und den Fenstern besetzt das Werk nun, in den Leuchtkasten passend, genau den Platz, der sich anbietet. Die Arbeit war ja ursprünglich auf einen langen Papierstreifen gedruckt. (…)

 (…) Vielleicht ist das auch ein »Sinn« von Kunst. Einen freien Platz zu finden. (…)

 (…) Die für den Siebdruck aufbereiteten Bildmotive entstammen meist aus dem privaten Fundus von Fotografien. Diese persönlichen, emotional aufgeladenen Bezüge verlieren sich in der sequentiellen Komposition und durch die potentielle Reproduzierbarkeit des Siebdrucks. (…)

 (…) Die Zeitschaltung des Leuchtkastens ist beschriftet mit dem Begriff »Reklame«. Heute heisst das ja »Werbung«. (...)

 (…) Als die Reklame durch die Massenmedien selbst immer massenhafter verbreitet wurde, geriet der Begriff in Verruf. So ärgerten sich z.B. Zeitschriftenleser in einem Heft sei ja nur Reklame drin, Radiosendungen würden ständig von Reklame unterbrochen usw. Durch den Einsatz von neuen suggestiven psychologischen Methoden änderte sich der Charakter der Reklame, so dass der Begriff Werbung, der ja der Partnersuche bei Mensch und Tier entlehnt ist, heute wesentlich passender erscheint. (...)

 (…) In Mathias' Arbeit »vanish« fällt das vermeintlich Persönlich-Emotionale mit der Zurschaustellung des Werbens zusammen. Sie thematisiert damit auch die Reproduzierbarkeit des Persönlichen/des Eigenen durch Film, Musik und Werbung. (...)

5
Das Zebra streifen


Hannah Zenger
1230 Grad, 2016
77 Platten aus Porzellan, Steinpulver, Steine, 160 x 140 cm

Helen Weber
seen through, 2016


Fotos von Hannah Zenger und Ivan Syrov

 (…) Hannahs strenge, geometrische Anordnung gebrannter Porzellanplatten stellt das Material (die verschiedenen Gesteine), das sie auf Reisen findet und mit nach Hause bringt, in den Vordergrund. Helens Arbeit will das Unterwegssein sichtbar machen und die Umgebung thematisieren. Ihre Arbeit in Italien findet deshalb ausserhalb eines Raumes statt. Die Arbeit findet im Grunde im Gehen statt. (…)

 (…) Unsere Idee, diese beiden Aspekte im Fenster zu verknüpfen mit zwei aufeinanderfolgenden Präsentationen der jeweiligen Arbeit, ist nun nicht richtig aufgegangen. Das haben wir sicher der tendenziellen Unübersetzbarkeit von Helens Arbeit für SEEN THROUGH zu verdanken. Wir haben gemeinsam und sie alleine über verschiedenste Möglichkeiten nachgedacht, wie die Arbeit in modifizierter Version hier im Fenster aussehen könnte und stets sind wir zu keiner schlüssigen Präsentationsform gekommen. Schließlich ist aber auch ein Prozess (auch des Scheiterns) ein Ergebnis (oder kann heute mehr denn je zu einem solchen gemacht werden). Kurzerhand sind nun hinter dem Schaufenster Dinge zu sehen, die im Laufe des Herumprobierens übrig geblieben sind. (…)

 (…) Was sich nun aus unserer Beschäftigung mit Hannahs und Helens Arbeiten und ihren verschiedenen künstlerischen Praktiken für uns ergeben hat, ist eine Wiederentdeckung der Spaziergängerwissenschaften, wie sie von Lucius Burkhardt ins Leben gerufen wurden. Das Bewegen des eigenen Körpers, das Sehen in Bewegung und die Reflektion über das Gesehene in Verbindung mit dieser Bewegung scheinen sich in einem neuen Drang zur Partizipation auszudrücken. Schließlich will der Zuschauer eines Museums nicht mehr nur zwei Augen sein, sondern eben auch als aktives Gegenüber angesprochen werden. (…)

 (…) Dies scheint mir ein Prozess zu sein, der sich rückblickend auch im Gang der neueren Kunstgeschichte abzeichnet. Mit Hannahs Arbeit »1230 Grad« sind wir noch eng an der sogenannten 'Weltsprache der Abstraktion‘ und ihrem Ansatz, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Ab diesem Startpunkt eröffnete sich der Kunst ein Kosmos neuer Möglichkeiten. In den 1960er Jahren wurde die Welt quasi unter den Künstlern aufgeteilt: die Pop Art übernahm z.B. die Symbole der Massengesellschaft, Yves Klein den Himmel (er schuf sein erstes unendliches und immaterielles Gemälde am Strand liegend, indem er den blauen mediterranen Himmel signierte und damit zu seinem ersten und größten ‚Monochrom‘ erklärte). Land art, Zero übernahmen dann, wenn man bei diesen künstlerischen Umwelt-Aufteilungen bleibt, das Licht, Objekt- und Performancekünstler in der Tradition Marcel Duchamps und des Dada eroberten die Bühne, den Abfall (Arman), die Maschinen (z.B. Tinguely), die Natur (Land Art), den politischen Raum (Haacke). Medien und Materialien, die heute ganz selbstverständlich zu den Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst gehören, wurden damals erst als kunstwürdig entdeckt. (…)

 (…) Sowohl Hannah als auch Helen verdanken dieser Expansion von Kunst sehr viel. Beide künstlerische Praktiken mögen mit recht ähnlichen Themen spielen. In der Umsetzung sind sie dennoch sehr unterschiedlich. Wo Hannahs Migrations- und Transformationsprozess in einem konkreten Display ihr Ziel finden, verflüchtigen sich Helens Arbeiten, wenn sie im Raum festgehalten werden sollen und finden nicht zusammen. (...) Helens künstlerischer Spaziergang ist ein Format der Fortbewegung. Er bleibt flüchtig, und kann, im Gegensatz zu Hannahs in Keramiken übersetzten Mitbringseln, schlussendlich nicht mehr in der Umgrenzung eines Rahmens gefasst werden. Man muss den Pfad schon gemeinsam mit ihr gehen. (...)

 (…) Wenn ich bei uns im Quartier spazieren gehe, fallen mir die vielen Modelle von Schiffen auf, die ins Fenster gestellt werden. Sie tun mir irgendwie leid. Oder noch seltsamer sind die Vogelkäfige, die ans Fenster gestellt sind, damit die Vögel nach draussen in die Freiheit sehen können. In diesem Sinne ist Helens Wanderung auch nicht geeignet, eingesperrt nach draussen, nach uns zu blicken. Wir zeigen aber, anlässlich eines Umtrunks am Abend des 21.12.2016, ihren Film, den sie während des Joggens entlang ihres Pfades gedreht hat, und dem sie den Titel »seen through, 2016« gegeben hat. (...)

4
Big Rock


Sören Hiob
Talking Sculpture, 2014
Papierhandtücher, Mehlkleister, Hasendraht, ca. 80 x 200 cm


Video von Sören Hiob


3
Ach Stadt


Steffen Kugel
(t)own people, 2013 / 2015
diverse glasierte Kleinkeramiken, Schriftzug an der Wand, Maße variabel


Fotos von Steffen Kugel, Ronald Kolb, Ute Zeller von Heubach


 (…) Nun hatten wir aufeinanderfolgend zwei skulpturale Arbeiten im Schaufenster. Anders als bei der vorhergehenden Präsentation von getöpferten Köpfen, die Steffen Kugel für SEEN THROUGH nach dem Vorbild anderer eigener Keramiken herstellte, immer wieder umstellte, unwohl mit der Präsentationsform hinter dem Schaufenster war, liegt der Arbeitsprozess an Sören Hiobs Plastik, die momentan zu sehen ist, zurück. Die große Skulptur ist, so wie sie ist, aus seinem Atelier transportiert und hinter das Fenster installiert worden. (…)

 (…) Sörens Skulptur mutet in ihrer Gestalt und mit ihrer Oberfläche sehr »biomorph« an. (…)

 (…) Ich mag bei der Kunst, wenn etwas »out of time« ist – ganz für sich alleine steht. So wie der Monolith in Kubricks 2001, Space Odysee im Weltraum. Da steht in dieser primitiven Welt auf einmal dieser Monolith, und keiner weiß etwas damit anzufangen. Aber keiner kommt auch dran vorbei. (…)

 (…) Kubricks Monolith ist ästhetisch betrachtet ganz das Gegenteil seiner Umgebung: geometrisch, glänzend und oberflächenpoliert, sauber. Sörens Arbeit ist all das nicht. vielmehr passt es sich ein in Fenster und Umgebung. Das Braun-Grau sieht beinahe der Aussenwand entnommen aus. Methodisch ist es dem Monolith recht nahe: man kommt an Sörens Skulptur nicht vorbei, aufgrund der Größe und der merkwürdigen, nicht näher zu bestimmenden Form, die im Grunde nicht in die recht geometrische städtische Umgebung passt. (…)

 (…) Obwohl wir es mit Skulptur, also mit Dreidimensionalität, zu tun haben, ist sie durch den Abstand, hinter der Scheibe, nicht greifbar. Wir können sie auch nicht umrunden - es sind nur eingeschränkt Perspektiven durch die Glasfläche zu sehen. (...)

 (…) Diese große Skulptur, die das Fenster zentral ausfüllt, ruft die Passanten dann doch eher zum Stehenbleiben und Schauen ein. Der erste Eindruck des Unübersehbaren weicht dann dem Nicht-Erfassbaren der Form. Die Größe des Objekts und die Platzierung in der Mitte lässt auf gängige Präsentationen hinter Schaufenstern schließen, die Uneindeutigkeit der Form (das nicht Einordenbare dann) hebt die Konvention auf.
Ich würde den Prozess so beschreiben: Der Passant entdeckt beim Vorbeigehen diesen riesigen vermeintlich schwebenden Stein (weil er gar nicht anders kann als ihn zu entdecken: Größe ist immer auch Überwältigungsstrategie), dann versucht er ihn zu verstehen (was nicht möglich ist) und geht in der Regel schnell weiter. Das Uneindeutige der Form ist ein wichtiger Faktor, die Größe der Skulptur sorgt für die Aufmerksamkeit. (…) Genau andersherum verhielt es sich mit der Kleinst-Skulpturengruppe von Steffen Kugel: Zuerst sieht man sie kaum, sie sind am Rande aufgebaut, nur der entdeckende bewusste Passanten wird die Skulpturen sehen (oder die Kinder, weil auf Eigenhöhe). Der erste flüchtige Blick sieht aber erst dahingeworfene kleine Lehmkugeln, erst beim näheren Blick sieht man die Konstellationen von Gesichtergrupppen und das Wort »Town«. Das alles wird dadurch sehr konkret. (...)

 (…) Mir fällt beim Betrachten von Sörens Arbeit der »Barberinische Faun« ein. Das ist eine zweihundert Jahre vor Christus in Griechenland entstandene Steinskulptur. Ein junger Mann liegt weit ausgestreckt auf einem Felsen. Provozierend lasziv wirkt seine Haltung. Sein Kopf ist ihm auf die Schulter gesunken. Sein rechter Arm weist über den Kopf nach hinten, der linke, heute weggebrochene Arm hing über einen Felsen seitlich herab. Das seltsame Ganze der Skulptur wirkt, würde man es unscharf sehen, wie ein ähnlich biomorphes Gebilde. (…)

 (…) Mein Eindruck ist es, dass Sörens Arbeit im SEEN THROUGH Fenster ein Bild für zwei Bereiche ist: die äußere Welt und im Gegenzug dazu der Kern, eine »Denkwelt«. Also eine Art Idee von Zentrum und Peripherie. In der Peripherie wird ausgefochten, und das hat dann wieder seine Auswirkungen auf das Zentrum. (...)

 (…) Die Skulptur von Sören Hiob ist als Film-Figur geplant. Sie soll wie eine Figur in einer Narration agieren, wie ein Star in einem Film, etwas verkörpern und erzählen. Der Figur ist eine gewisse charakterliche Schwere anzusehen, sie ist schwer zu fassen. Ihr ist durchaus zuzutrauen, große Rollen zu spielen. Ihr erster beredter Einsatz war 2014 im Video des Künstlers »Talking Sculpture« zu hören. (...)

2
Pool Video and Text about the Pool Video


Zayne Armstrong
Revisiting the Pool, 2013
EDTV Video, 16:9, 29.97fps, Farbe, Ton, 12.29 Min.

Compendium for Revisiting the Pool, 2015
EDTV Video, 16:9, 29.97fps, Farbe, 12.29 Min.



Video von Zayne Armstrong


 In »Pool Video and Text about the Pool Video«, einer eigens für SEEN THROUGH neu entwickelten Arbeit, sind Kommentare zu Zayne Armstrongs Video »Revisiting the Pool« zusammengefasst.

 Während »Revisiting the Pool« online zu sehen ist, kann »Compendium for Revisiting the Pool« ab sofort im Fenster von SEEN THROUGH gesehen werden.


1
Die Fenster sind das Beste in einem Museum*


Joseph Egan
Bonnard's Advice, 2013
Ölfarben auf 32 Holzlatten, je ca. 100 x 4 x 2 cm, variable Grösse der Installation

* Der Titel der Ausstellung ist ein Zitat von Pierre Bonnard.


Foto von Bernhard Kahrmann

 (…) Nun ist die erste von uns ausgewählte Arbeit eines Künstlers hinter dem Schaufenster zu sehen. Und gleich mit der ersten künstlerischen Arbeit sind wir so nah als möglich an die Straße gegangen: Die zweiunddreißig ungehobelten, mit Ölfarbe bemalten Holzlatten von Joseph Egan mit dem Titel »Bonnard's Advice« stehen nebeneinander aufgereiht an das Schaufenster gelehnt. Für den Betrachter vor der Fensterscheibe lehnen sie leicht zu ihm geneigt. Die Hölzer wirken so nah, als wäre kein Glas zwischen innen und aussen. (…)

 (…) Verblüffend seit dem ersten Moment waren die kräftigen Farben, die gar nichts von ihrer Kraft durch das Schaufensterglas verlieren. Gerade wenn die Sonne vormittags ihre Strahlen durch die Fensterscheibe wirft, ist die Arbeit am präsentesten und erfüllt den gesamten Bereich vor dem Fenster bis zur anderen Straßenseite, von der die Arbeit gut sichtbar ist. (...)

 (…) Die Mehrteiligkeit der Arbeit nehme ich kaum wahr. Die Komposition der Farben, die Abgestimmtheit der Farben aufeinander lassen die Einzelteile stets als Ganzes erscheinen. Interessant ist die Rhythmisierung der Arbeit: die Holzlatten geben den Rhythmus des Gesamten vor. (…)

 (…) Wir im Büro haben die Rückseite der Arbeit zu betrachten. Die Farben strahlen auch nach innen und machen ein warmes Licht. Wir haben uns erlaubt streng nach Josephs Vorgaben die Komposition der Hölzer zu verändern: Joseph betrachtet seine Arbeit als ein (musikalisches) Instrument im Ensemble seines jeweiligen Umfelds, das nach bestimmten Spielregeln verändert werden darf (die Reihenfolge ist fix, die Ausrichtung der einzelnen Holzlatten kann verändert werden). Die Arbeit teilt damit das Schaufenster ein, es rhythmisiert die Sicht nach innen und aussen. Die Passanten gehen mit geneigtem Kopf die Arbeit betrachtend - für uns als Schatten – vorbei. (…)

 (…) Ich finde Josephs ausdrücklichen Bezug auf Bonnard spannend. Ausgelöst durch die starke sinnliche Wahrnehmung der Arbeit - über Farbigkeit, Materialität und Raumbezug – möchte ich noch etwas zu der für Joseph wichtigen Quelle sagen.
Der französische Maler Pierre Bonnard wollte in der Konstruktion seiner Arbeiten eine Hierarchie des Abgebildeten vermeiden. Er gliedert seine Bildern indem er zuerst abstrakte Farbbänder malt und konstruiert alles Weitere darauf afokal. Es dominiert die nahe und bewegliche Sicht. Periphere Gegenstände und Menschen sind dann mit gleicher Aufmerksamkeit abbildet. (...)

 (…) Bonnard war ein Voyeur - dies zeigt sich in seiner Kunst: Er hält malerisch die Flüchtigkeit in wie zufällig hingeworfenen Augenblicken fest, wie heute mancher Straßenphotograph mit versteckter Kamera - genauso wie in seinem Leben: Als er sich ein Haus kauft, lässt er dies aufwändig zu einer Art »Sehmaschine« umbauen. Überall gibt es Türen, Fenster und Spiegel. Es gibt keinen Winkel, den er nicht beobachten kann. Das Badezimmer ist extrem ausgestellt. Was seine Frau darin tat, hat er endlos beobachtet. (…)

 (…) Interessanterweise stellt das durch Josephs Arbeit verstellte Schaufenster einen umso stärkeren Anreiz dar, durch das Fenster nach außen (oder nach innen) zu sehen. Gerade erst durch das zaunartige Hindernis des Sichtfeldes will man wissen, was dahinter ist. Deine Entdeckung von Bonnards umgebautem Haus als »Sehmaschine« ist in dieser Hinsicht gut nachzuvollziehen.
Die Gleichzeitigkeit der Dinge, die Einebnung der Motive, die Vermeidung von Hierarchie, all dies zeichnet viele Arbeiten Bonnards aus, und all dies steckt auch in Josephs Arbeit im Schaufenster: zweiunddreißig fast gleichförmige Holzlatten nebeneinander, alle gleich gut sichtbar. Und natürlich ist das Schaufenster, wie wir es verwenden, immer eine Art panoptische Schnittstelle zwischen denen im Inneren und denen draussen, wobei nicht klar ist, wer sieht und wer gesehen wird. (…)

Prolog: Vor uns


Ronald Kolb
o.T., 2014
9-teilig, je Tonpapier, 42 x 21 cm, gesamt 42 x 190 cm

Ute Zeller von Heubach
blow back, 2014
9-teilig, je Öl auf Leinwand, 60 x 30 cm, gesamt 60 x 270 cm


Video aufgenommen von Markus Milcke

 (…) Mit dem Prolog zu unserem kuratorischen Projekt seen through wollen wir ja – quasi als Probe – sehen, wie wir mit den Gegebenheiten unseres Schaufensters umgehen können, welche Eingriffe wir wie und wo setzen können und wie das Ganze von außen – vor dem Schaufenster – zur Geltung kommt. Da liegt es nahe auf eine künstlerische Arbeit von Dir zurückzugreifen: einerseits, um bei den folgenden ausgewählten Arbeiten Anderer sicherer zu sein im Umgang mit diesen. Andererseits erscheint es mir als Weiterentwicklung unserer Zusammenarbeit mit der Publikationsreihe felt, in der wir Deine künstlerische Arbeiten im Medium Buch vermitteln und dokumentieren. (…)

 (…) Interessant finde ich, wie die Auswahl der einzelnen Teile Deiner ausgestellten Arbeit zustande kommt. Im Grunde sind sie herausgefallen aus der großen installativen Arbeit, die nächstes Jahr in Zürich gezeigt wird. Also handelt es sich um nicht-konforme Teile der »Autobahn«- Installation. Für mich wirken die neun aneinandergereihten Teile dadurch sprunghaft, im Gegensatz zu der Stetigkeit der »Autobahn«- Installation. (...)

 (…) Auf den ausgewählten Teilen (ich nenne diese Arbeit »blow back«) sind eher auf Weiß geworfene Schatten von Schwarz zu sehen. Somit zeige ich in seen through nicht die gleichmäßigen monochromen Gemälde, die Platten der Fahrbahn, weil hier die Straße sowieso präsent ist. Die Passanten bewegen sich auf der Straße, und das Fenster ist eine Facette, ein Standbild am Rand ihres Sehfeldes. Im Fenster ist nur ein Zipfel des gewellten Stückes zu sehen, das dann als mehrteiliges Band einen Schlenker in den Innenraum, Deinen Arbeitsraum, macht. (…)

 (…) Anders ausgedrückt könnte man sagen, die Potentialität steht in dieser Zusammenstellung im Vordergrund und nicht die Monotonie der Straße. Zumindest deckt sich das mit meinen Gedankensprüngen beim Autofahren. Oft bleibe ich nicht bei Landschaft und Beton, vielmehr stelle ich mir Möglichkeitsräume vor: Wie sähe mein Leben aus, wenn ich in diesem Dorf leben würde? Wie würde sich mein Gemüt verändern, wenn ich täglich diesen Hügel betrachten würde? usw. (…)

 (…) Mir gefällt der Gedanke der Abweichungen, der Möglichkeitsräume, den Du beschrieben hast. Ich kenne das gut - wünsche mir oft, ich könnte anhalten und in der Landschaft spazieren gehen. Ein wenig so wie Langeweile und Überdruss an trostlos verregneten Tagen: Man blickt aus dem Fenster und wartet auf die Sonne. (…) Solche Abschweifungen sind auch Teil meiner Kunstproduktion und -betrachtung. Als Analogie hierzu nochmals die Autobahn: Wenn man auf der Autobahn fährt, ist es sehr schwierig jede Entscheidung, jede Veränderung der Geschwindigkeit oder des Getriebes mit einer bewussten Entscheidung zu assoziieren. Eingeübte Automatismen sind die Bedingung dafür, dass man instinktiv weiß, wo es lang geht. Auf der anderen Seite gibt es neben dieser Orientierung konkrete und gedankliche Abwege, Reservate, wo eine »produktive Desorientierung« gerne in Kauf genommen wird. (...)

 (…) Die Potenz steckt dann auch in der Mehrteiligkeit der Arbeit: neun gleichformatige, bemalte Leinwände aneinandergereiht, die eine unendliche Kette des Möglichen andeuten. (…) Eine Potentialität, die die Monotonie als Voraussetzung, nicht als Widerspruch hat. (…)

 (…) Mittlerweile ist auf der hölzernen Ablage im Fenster auch Deine Arbeit aus Tonpapieren zu sehen. Sie entstand wohl aus Deiner Konfrontation mit »blow back« und abstrahiert für mich das Vage, Geheimnisvolle meiner Bilder auf den jeweils mittleren Grauwert. (…)

 (…) Jedenfalls greift die Papierarbeit die formale Ebene von »blow back« auf. Sie reduziert sie auf Verhältnis der Einzelteile zu dem Gesamten und Grauwert. Die Arbeit liegt aber plan auf dem Boden, hängt also nicht im Raum und wirkt dadurch auch weniger tragend. Wenn man von der doch recht poetischen Anmutung Deiner Arbeit ausgeht (trotz oder wegen der eher monochromen Ölmalerei?), wirkt die Papierarbeit für mich eher als konkrete räumliche Vereinnahmung. (…)

 (…) Mir geht es mit der Papierarbeit so, dass ich sie als aufs Wesentliche reduziert und formal gedacht empfinde, im Gegensatz zur Natur der stets inhaltlich aufgeladenen Ölmalerei - auch wenn sie nur changierende Grautöne zeigt. Und die Papiere sind auch gefertigt und nicht handgemacht. (…) So erscheint mir Deine Version, Deine »bildhafte« Antwort wie ein persönliches Echo, nicht wie eine Kopie. Du hast etwas gesehen, das Dich herausfordert. (...) Es entsteht im Spannungsfeld unserer beider Ansätze, aus den »Gesprächen mit Bildern«, eine dritte Arbeit. (...)